Was bringt die neue Ausbildungsverordnung für Steuerfachangestellte ab August 2023?
Stefan Crivellin, Steuerberater aus Oberndorf am Neckar hat in seiner Eigenschaft als ehrenamtliches Mitglied seiner Steuerberaterkammer den Prozess der Entstehung der neuen Ausbildungsordnung mitverfolgt und gewährt uns Ein- und Ausblicke darauf, was auf die jungen Talente, die Berufsschulen und die Steuerkanzleien zukommt.
Steuerberaterportal von sevdesk (sD): Herr Crivellin, nach fast dreißig Jahren wird die Ausbildungsverordnung zum/zur Steuerfachangestellten geändert. Das klingt, als hätte man nicht nur einen Zug verpasst.
Stefan Crivellin (SC): Ausbildungsordnungen ändern sich üblicherweise nicht so schnell. Jede muss aber in gewissen Abständen aktualisiert werden. Die Ausbildung zum/zur Steuerfachangestellten ist eine der letzten Ausbildungen, die in diesem Zyklus angepasst wird. 1996 war das letzte Mal. Der Sprung von der rein analogen Vorgehensweise zur digitalen war tatsächlich überfällig.
sD: Wie wird sich das Berufsbild durch die neue Verordnung ändern?
SC: Buchhalter werden zu Datenmanagern für ihre Mandanten – nur als ein Beispiel für die enormen Veränderungen.
sD: Wie meinen Sie das?
SC: Die Zukunft der Steuerfachangestellten wird nicht mehr darin bestehen, Buchhaltungsdaten zu erfassen, sondern gemeinsam mit ihren Klienten in Echtzeit über die Cloud deren Daten zu managen – um beim Beispiel der Buchhaltung zu bleiben: Sie lernen, diese Daten über Schnittstellen übernehmen, zu analysieren, auf Plausibilität hin zu kontrollieren, zu verifizieren und die Potenziale zu erkennen, die in diesen Daten stecken. Und sie lernen, ihre Ergebnisse und Erkenntnisse informativ zu kommunizieren und zu präsentieren. Bilanzbesprechungen erfolgen per PPT mit Grafiken zum Jahresabschluss. Das lernte man bisher nicht in der Ausbildung.
Früher ging es in der Ausbildung rein um Wissensvermittlung und jetzt liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Erwerb von Fähigkeiten und Kompetenzen.
Das reine Wissen wird natürlich weiterhin gelehrt, aber nicht mehr so sehr in der Tiefe. Die freigewordenen Kapazitäten werden jetzt mit der Stärkung von Fertigkeiten gefüllt, z.B. auch mit Problemlösungskompetenzen.
sD: Das heißt, man verabschiedet sich 2023 von den Grundsätzen, die 1494 von Paccioli veröffentlicht wurden?
SC: Um Himmels willen, nein. Luca Paccioli gilt als der Euklid der Steuerberater-Welt. Seine Prinzipien der doppelten Buchführung sind weiterhin gültig, daran wird sich wohl so schnell nichts ändern, weil sie in ihrer Logik perfekt sind und sich tatsächlich Jahrhunderte lang bewährt haben.
Steuerberater und Steuerfachangestellte bleiben Wissens-lastige Berufe, aber sie werden ganzheitlicher.
sD: Klingt, als würde alles noch viel komplizierter werden
SC: Ja, und auch gleichzeitig einfacher: Durch die verbesserten Kompetenzen der Steuerfachangestellten wird es für sie leichter, in einer komplexer werdenden Steuerwelt, die Oberhand zu behalten.
sD: Was wird aus denjenigen, die früher ihre Ausbildung abgeschlossen haben? Gehören die zum alten Eisen?
SC: Natürlich nicht. Deren Knowhow ist weiterhin extrem wertvoll. Die vorigen Jahrgänge hatten es nur eben schwerer, sich die erforderlichen Fähigkeiten mit den Jahren selbst beizubringen, um den technologischen Anschluss nicht zu verpassen, durch learning by doing oder Fortbildungen. Die neuen Jahrgänge werden es leichter haben, sich an Veränderungen anzupassen und der Buchhaltungsbereich wird ihnen auch mehr Spaß machen.
sD: Buchhaltung wird mehr Spaß machen?
SC: Ja, die Tätigkeit wird sich intellektuell verändern, viele manuelle Routinetätigkeiten nehmen ab, es wird spannender, herausfordernder. Wie gesagt: vom Buchungserfasser zum Datenmanager.
sD: Wie muss man sich das in der Ausbildung vorstellen?
SC: Wir unterrichten vieles in veränderter, vor allem digitaler Form.
Die reine Quantität der Buchungen hat sich ja auch mit den Jahren enorm erhöht. Die Lösung ist nicht, dass Steuerfachangestellte lernen, immer schneller zu buchen, sondern, dies den Maschinen zu überlassen. Bei der digitalen Buchhaltung übernehmen wir schon fertige Daten und brauchen nur noch Stichproben zu machen. Lückenlos jede einzelne Buchung in die Hand zu nehmen, ist nicht mehr gefragt, das brauchen angehende Steuerfachangestellte also auch gar nicht mehr zu verinnerlichen.
Die reine Datenerfassung ist vorbei, auch wird es unsinnige Redigitalisierungs-Prozesse nicht mehr geben. Sämtliche digitalen Buchhaltungsdaten werden direkt über Schnittstellen in die Steuerberatersysteme übernommen. Hier wird danach die Plausibilität kontrolliert und gegebenenfalls verifiziert. Die veränderten Prozesse und Workflows werden gelehrt und insgesamt die Adaptionsfähigkeit, also, sich auf Neues einzustellen.
Doch auch wenn die Buchhaltungssysteme immer besser werden, brauchen Mandanten selbstverständlich weiterhin Steuerfachangestellte, die beispielsweise umsatzsteuerliche Sachverhalte beurteilen und digitale Belege revisionssicher archivieren können. Viele Zusatztätigkeiten bleiben weiterhin notwendig, denn auch kalkulatorische Buchungen, Abgrenzungen, Abschreibungen und Analysen bleiben unverzichtbar. Dies wird weiterhin gelehrt.
sD: Buchhaltung als Profession wird also nicht aussterben?
SC: Richtig. Die Digitalisierung eröffnet uns verschiedene Möglichkeiten. Das Szenario, in dem die Mandanten alles allein machen und ihr Steuerberater noch die Übermittlung ans Finanzamt übernimmt, wird nur in wenigen Einzelfällen eintreten. Denn nicht alle Mandanten wollen sich das Knowhow für eine fehlerfreie Buchhaltung aneignen. Sie überlassen es lieber Experten.
sD: Ein breites Spektrum...
SC: Viele arbeiten jetzt schon quasi in Echtzeit mit ihren Mandanten zusammen: Wenn wir einen Beleg verbuchen, ändert sich das Ergebnis instantan – man kann es in der Übersicht sofort sehen. Das ist das eine Ende des Spektrums und das andere ist immer noch die Arbeit mit dem Pendelordner – oder dem berühmten Schuhkarton, der einmal im Jahr abgearbeitet wird.
Papierbuchhaltung zu können, ist gut, um die Grundlagen zu verstehen. Neue Azubis sollten das unbedingt kennenlernen, aber sie geben sich später im Tagesgeschäft nicht mehr mit den langweiligen Bestandteilen ab.
sD: Sie lernen also, ihr Knowhow immer anpassen, auch auf technologischer Ebene, ein ganzes Arbeitsleben lang?
SC: Ja, sie lernen, sich auf eine permanente Entwicklung einzustellen, weil sich die Technologien auch immer weiterentwickeln. Sie lernen Grundlagen des grenzüberschreitenden Handels, der Umsatzbesteuerung von B2C-Verkäufen in andere EU-Länder – vor allem beim Online-Handel, des Reverse-Charge-Verfahrens, der elektronischen Rechnungen - und sie lernen, dafür unterschiedliche Software und Plattformen zu nutzen.
sD: Steuerfachangestellte sind auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt und das wird auch so bleiben, richtig? Durch die neue Ausbildung könnte sich das Image ändern, hoffen Sie, dass sich dann mehr junge Menschen für diesen Beruf begeistern?
SC: Kanzleien sind in guter Gesellschaft, ALLE Branchen leiden unter dem Fachkräftemangel. Die Bundesagentur für Arbeit hat schon 2017 in ihrem Weißbuch „Arbeiten 4.0“ prognostiziert, dass Steuerberatungskanzleien am meisten Personalbedarf haben werden und bei einer Beschleunigung der Digitalisierung steige der Bedarf sogar noch stärker.
Der Beruf wird sich verändern, aber er wird nicht weniger wichtig, sondern seine Bedeutung nimmt zu, auch die Verantwortung, die Steuerfachangestellte tragen. Datenfehler können sich exponentiell auswirken, das bedeutet, die Verantwortung wird größer. Damit wird sicher ein Imagewechsel einhergehen.
Wir möchten mit der neuen Ausbildung junge Menschen ansprechen, die sowohl die berühmte gründliche, detailverliebte Buchhaltermentalität mitbringen, aber darüber hinaus auch Lust auf Neues, Anpassungsfähigkeit und Interesse für IT. Steuerberatung war noch nie langweilig, es war immer schon ein spannender Beruf. Die Digitalisierung macht ihn noch spannender.
sD: Wird dann auch die Bezahlung steigen?
SC: Das weiß ich nicht. Die ist jetzt schon nicht schlecht, aber auch da werden Arbeitgeber und letztendlich Mandanten sich auf faire, zukunftsfähige Modelle einigen müssen.
sD: Hieß es nicht mal, dass Steuerberatungskanzleien mit der Digitalisierung überflüssig werden?
SC: In einer Studie der Universität Oxford für den US-Markt hieß es 2016, dass der Beruf des Steuerberaters durch die Digitalisierung aussterbe - das hat sich nicht bewahrheitet, aber das liegt an der Interpretation der Daten. Ein Automatisierungsgrad von über 70% heißt nicht, dass ein Beruf ausstirbt, sondern dass sich er sich VERÄNDERT.
sD: Ab 1.8. 2023 gilt die neue Ausbildungsverordnung. Sind die Berufsschulen dafür gewappnet?
Die Lernfelder in der Berufsschule orientieren sich zukünftig noch mehr an den Prozessen in der Kanzlei. Sie werden noch besser verzahnt und gegenseitig gespiegelt.
Der neue Lehrplan gibt weniger detailliert vor, was genau gelehrt werden soll, sondern die Ziele. Das könnte natürlich für einige Berufsschullehrerinnen und -lehrer herausfordernd werden, aber auch die werden sich da umzustellen müssen, um zukünftig kompetenzorientiert zu unterrichten.
Darauf ist man aber vorbereitet: Die Kultusministerien bieten Kurse für Berufsschullehrerinnen und -lehrer an. Alles wird durch die Digitalisierung herausfordernder und spannender. Dadurch gewinnt also auch der Berufsschullehrerberuf noch mal.
Fest steht: Keiner von uns kann sich auf seinem in der Ausbildung oder im Studium erlernten Wissen ausruhen.
Menschen neigen oft dazu, sich vor Veränderungen zu fürchten, weil sie Angst haben, dass sie etwas nicht mehr perfekt zu beherrschen. Diese Grundeinstellung vermindert die Arbeitszufriedenheit. Der Nachwuchs soll angstfrei in sein Berufsleben starten und sich auf Innovationen freuen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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