Das Wachstumschancengesetz und die E-Rechnung in Deutschland – Was bedeutet die E-Rechnung für Steuerkanzleien und ihre Prozesse?
Am 17. November 2023 markierte der Bundestag mit der Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes einen bedeutenden Schritt in Richtung Digitalisierung und Modernisierung der Steuerpraxis in Deutschland. Dieses Gesetz, das maßgeblich von der EU-Reform „VAT in the Digital Age“ beeinflusst ist, bringt signifikante Änderungen in der Rechnungsstellung, insbesondere für den B2B-Bereich. In diesem Beitrag beleuchten wir die Gesetzesänderungen im Bereich der Rechnungsstellung und deren Auswirkungen auf Steuerberater.
von David R. Dietsch
Der Bundestag hat das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) am 17.11.2023 verabschiedet. Der Bundesrat verwies es am 24.11.2023 in den Vermittlungsausschuss und hat hierzu 50 konkrete Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen gefordert sowie weitere Prüfbitten bzw. Anregungen formuliert.
Aufgrund der aktuell angespannten Haushaltslage ist mit einer Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes noch 2023 nicht mehr zu rechnen. Dieser Beitrag berücksichtigt daher die Gesetzesfassung vom 24.11.2023.
Was ändert sich durch das Wachstumschancengesetz betreffend der E-Rechnung? Aktuelle Definition einer elektronischen Rechnung
Bevor auf die umsatzsteuerlichen Änderungen im Zusammenhang mit der E-Rechnung eingegangen wird, soll ein Überblick über die aktuellen Regelungen gegeben werden.
Den Begriff der elektronischen Rechnung gibt es im deutschen Umsatzsteuerrecht bereits seit 2011. Eine elektronische Rechnung ist derzeit definiert als eine Rechnung, die in einem elektronischen Format ausgestellt und empfangen wird. Konkret also beispielsweise eine Rechnung, die als PDF per E-Mail versendet wird (§ 14 Abs. 1 S. 8 UStG). Grundsätzlich sind elektronische Rechnungen in diesem Sinne Papierrechnungen gleichgestellt, wenn es beispielsweise um den Vorsteuerabzug geht. Allerdings sind beim Umgang mit elektronischen Rechnungen derzeit einige Besonderheiten zu beachten.
Elektronische Rechnungen dürfen nur ausgestellt werden, wenn der Rechnungsempfänger vorher zugestimmt hat. Diese Zustimmung kann z.B. angenommen werden, wenn der Empfänger den Rechnungsbetrag bezahlt. Verlangt der Geschäftspartner jedoch ausdrücklich eine Papierrechnung, muss diese nach derzeitiger Rechtslage auch ausgestellt werden.
Verpflichtende Einführung der E-Rechnung für B2B-Umsätze ab dem 1.1.2025
Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die EU (siehe unten) haben erkannt, dass diese Praxis der Papierrechnung ein Hindernis für die Digitalisierung von Unternehmen darstellt. Das Wachstumschancengesetz sieht daher wesentliche Änderungen bei der E-Rechnung vor, die grundsätzlich ab dem 1.1.2025 gelten sollen.
Konkret ändert sich zunächst die Definition der E-Rechnung. Als E-Rechnung gelten künftig nur noch Rechnungen, die in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen werden, das ihre elektronische Verarbeitung ermöglicht und den Anforderungen der Richtlinie 2014/55/EU entspricht. Die Richtlinie 2014/55/EU bildet lediglich die Rechtsgrundlage für die Schaffung einer europäischen Norm, die bereits in Form der EN 16931 existiert. Deutsche Ausprägungen von EN 16931 sind schon heute die XRechnung und ZUGFeRD-Format. Entsprechend ist der künftige Rechnungsstandard schon heute bekannt und vor allem nutzbar.
Neben der Definitionsänderung müssen deutsche Unternehmen zukünftig verpflichtend E-Rechnungen im B2B-Kontext ausstellen. Damit entfällt das bisherige Zustimmungserfordernis und die Papierrechnung wird im B2B-Kontext zur Ausnahme. Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen grundsätzlich in der Lage sein müssen, Rechnungen in einem bestimmten strukturierten Datenformat auszustellen und zu empfangen. Der Vorteil eines strukturierten und vor allem standardisierten Datenformats, wie es die EN 16931 darstellt, liegt darin, dass digitale Standardisierungen eine übergreifende Automatisierung überhaupt erst ermöglichen. So kann eine Software einfacherer und sicherer Daten erfassen und verarbeiten. Was sich konkret hinter EN 16931 verbirgt und wie solch ein strukturiertes Datenformat aussieht, zeigen wir Ihnen in einem späteren Blogbeitrag.
Das Wachstumschancengesetz sieht allerdings auch Ausnahmen von der vorgenannten Verpflichtung vor. So müssen Unternehmer etwa im Falle von Kleinbetragsrechnungen (Rechnungsbetrag bis maximal EUR 250) und Fahrausweise keine Rechnungen in einem EN 16931 kompatiblen Format ausstellen.
Darüber hinaus wurde kürzlich eine weitere Einschränkung in den Gesetzestext aufgenommen. So sind im B2B-Kontext auch andere, vorab vereinbarte Formate möglich, wenn das Format die korrekte und vollständige Extraktion der Informationen nach EN 16931 ermöglicht bzw. kompatibel ist. Damit soll insbesondere eine Hintertür für den weit verbreiteten sogenannten EDI-Standard offen gehalten werden, den viele Unternehmen nutzen und entsprechende Prozesse darauf abgestimmt haben.
Schließlich sieht das Wachstumschancengesetz noch Übergangsvorschriften in bestimmten Fällen vor. So müssen Unternehmen keine Rechnungen nach EN 16931 bis 31.12.2027ausstellen, wenn sie
- einen Jahresumsatz < EUR 800.000 erwirtschaften oder
- Rechnungen per elektronischem Datenaustausch (EDI) übermitteln.
Folglich müssen alle Unternehmen im B2B-Kontext spätestens ab dem 1.1.2028 Rechnungen nach EN 16931 bzw. in kompatiblen Formaten ausstellen, sofern es sich dabei um keine Kleinbetragsrechnungen oder Fahrausweise handelt.
Unabhängig davon müssen Unternehmer jeder Größe ab dem 1.1.2025 bereit sein, Rechnungen nach EN 16931 zu empfangen. Sofern ein Unternehmen also ab diesem Zeitpunkt Rechnungen nach EN 16931 ausstellt, hat der Rechnungsempfänger künftig keinen Rechtsanspruch mehr auf die Zusendung einer Rechnung z.B. als PDF oder auf Papier. Die Rechnungsausstellungsfrist wurde dagegen nicht angetastet.
Die E-Rechnung als Vorstufe zu einem transaktionsbezogenen elektronischen Meldesystem
Die verpflichtende Nutzung der E-Rechnung ab 2025 ist Voraussetzung für die zu einem späteren Zeitpunkt geplante Einführung eines Digitales Meldesystem auf Basis der E-Rechnung.
„Die obligatorische Verwendung der eRechnung ist Voraussetzung für die zu einem späteren Zeitpunkt einzuführende Verpflichtung zur transaktionsbezogenen Meldung von Umsätzen im B2B-Bereich durch Unternehmer an ein bundeseinheitliches elektronisches System der Verwaltung (Meldesystem)“, so lautet eine der Begründungen zum Regierungsentwurf zum Wachstumschancengesetz vom 29.08.2023.
Im Bereich der Umsatzsteuer ist das Wachstumschancengesetz maßgeblich durch den EU-Reformvorschlag vom 08.12.2022 „VAT in the Digital Age“ geprägt und markiert damit den ersten wichtigen Umsetzungsschritt dieser Reform.
So sieht „VAT in the Digital Age“ (kurz ViDA) auch eine Rechnungsstellung nach EN 16931 sowie ein Digitales Meldesystem für innergemeinschaftliche Umsätze auf Basis der E-Rechnung vor. Darüber hinaus plant die EU-Kommission die analoge Einführung eines solchen Digitalen Meldesystems auf Basis der E-Rechnung für rein lokal steuerbare Umsätze, wie es etwa die Bundesregierung im Wachstumschancengesetz – wie gezeigt bereits angekündigt hat. Ähnlich wie das Wachstumschancengesetz ist allerdings auch ViDA noch nicht final verabschiedet.
Wie werden Digitale Meldesysteme auf Basis der E-Rechnung umsatzsteuerliche Meldeprozesse verändern?
Das ViDA-Reformvorhaben in seiner gegenwärtigen Fassung vom 08.12.2023 sieht insbesondere die elektronische Rechnungsstellung und die Einführung eines Digitalen Meldesystems zur kontinuierlichen Meldung bestimmter Rechnungsdaten an die Finanzverwaltung vor.
Im Zuge von VAT in the Digital Age muss ein Unternehmer Rechnungen zukünftig
- elektronisch in einem einheitlichen Rechnungsformat (strukturierter Datensatz nach EN 16931) und
- innerhalb von zwei Tagen nach Leistungsausführung ausstellen.
Bestimmte Rechnungsdaten müssen dann in einer separaten steuerlichen Meldung über ein neues Digitales Meldesystem
- kontinuierlich, innerhalb von zwei Tagen nach Rechnungsausstellung,
- auf Einzeltransaktionsebene und
- ebenfalls in einem einheitlichen Datenformat (grundsätzlich strukturierter Datensatz nach EN 16931) an die Finanzverwaltung übermittelt werden.
Was sich konkret durch ViDA umsatzsteuerlich ändern wird, zeigen wir Ihnen ausführlich in einem späteren Blogbeitrag.
Steuerberater als strategische Partner in Zeiten von VAT in the Digital Age und der verpflichtenden E-Rechnung
Die Umsatzsteuerlandschaft entwickelt sich rasant, angetrieben durch Reformvorhaben wie VAT in the Digital Age,das Wachstumschancengesetz und die zunehmende Digitalisierung von Steuerprozessen. In der sich ständig wandelnden Steuerwelt müssen sich Steuerberater neben Steuerexpertise auch Innovatoren an der Schnittstelle von Technologie und Steuerrecht sein. Ein zentraler Aspekt dieser neuen Rolle ist der Aufbau und die Pflege eines Tax Compliance Management Systems (Tax CMS). Die Expertise im Umgang mit einem Tax CMS ist unerlässlich, um die Einhaltung der sich ständig ändernden Steuergesetze und -vorschriften zu gewährleisten. Dies erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis der aktuellen Gesetzgebung, sondern auch die Fähigkeit, vorausschauend zu planen und zu handeln.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Datenanalyse. In einer Welt, in der große Datenmengen und komplexe Transaktionen zur Normalität werden, ist die Fähigkeit, diese Daten zu analysieren und ihre Integrität zu gewährleisten, von entscheidender Bedeutung. Solide Automatismen in der Datenverarbeitung sind notwendig, um effiziente und zuverlässige Steuerprozesse zu gewährleisten.
Die schnelle Anpassung an neue Gesetze und Standards ist ebenfalls ein Schlüsselelement. Steuerberater müssen in der Lage sein, sich schnell an neue regulatorische Anforderungen anzupassen, um ihre Mandanten effektiv beraten und unterstützen zu können. Dies erfordert kontinuierliche Weiterbildung und proaktives Handeln.
Darüber hinaus ist die Beratungskompetenz von entscheidender Bedeutung. Steuerberater müssen ihre Mandanten nicht nur in steuerlichen Fragen beraten, sondern sie auch bei der Implementierung neuer Technologien und Prozesse unterstützen. Dazu gehört auch die Beratung bei der digitalen Transformation, um etwa das volle Potential der E-Rechnung für die automatisierte Buchhaltung abrufen zu können.
Effizientes Projekt- und Prozessmanagement ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Der Transfer von Steuerexpertise in effektives Projekt- und Prozessmanagement ist für die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation unerlässlich. Steuerberater müssen in der Lage sein, komplexe Projekte zu leiten, Prozesse zu optimieren sowie ihre Arbeitsprozesse mit den Mandanten koordinieren.
Fazit
Die Einführung des Wachstumschancengesetzes und die fortschreitende Entwicklung von VAT in the Digital Age markieren einen Wendepunkt in der Steuerberatung, der mit der Einführung der E-Rechnung nicht abgeschlossen sein wird, sondern nur den ersten Schritt zu einem kontinuierlichen Datenfluss an die Finanzverwaltung darstellt.
Steuerberater stehen vor der Herausforderung, ihre Mandanten durch diese Übergangsphase zu begleiten. Dazu gehört nicht nur die Anpassung an neue technologische Standards, sondern auch ein tiefes Verständnis der regulatorischen Anforderungen. Die Rolle des Steuerberaters erweitert sich somit um die Dimensionen Technologieberatung und Change-Management.
Die Anforderungen von VAT in the Digital Age, insbesondere im Hinblick auf die E-Rechnung und die Einführung Digitaler Meldesysteme, unterstreichen die Notwendigkeit einer zeitnahen Datenübermittlung und eines effizienten Datenmanagements. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Steuerberatung, bringt aber auch Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf Datenanalyse, Compliance und Risikomanagement.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umsatzsteuerwelt von morgen stark von digitalen Prozessen und einer engen Verzahnung von Technologie und Steuerrecht geprägt sein wird. Steuerberater müssen sich als Innovatoren und strategische Partner positionieren, um ihre Mandanten erfolgreich durch diese neue Ära zu begleiten. Die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Bedingungen anzupassen und Mandanten bei der digitalen Transformation zu unterstützen, wird entscheidend sein, um in der umsatzsteuerlichen Welt von morgen erfolgreich zu sein.