New Work, Homeoffice und verkürzte Arbeitszeiten sind in aller Munde: Seit Februar 2024 testet Deutschland offiziell die 4-Tage-Woche. Kürzere Arbeitszeiten scheinen ein gutes Mittel gegen den Fachkräftemangel zu sein und viele Studien belegen die zahlreichen Vorteile, die sie mit sich bringen. Trotzdem tun sich viele Arbeitgeber weiterhin schwer mit dem Konzept.
In unserer New Work Serie beleuchten wir die Konzepte im Zusammenhang mit der Arbeit in Steuerkanzleien und führen Interviews mit Kanzleiinhabern, die ihre Erfahrungen mit modernen Arbeitsmodellen mit uns teilen.
Anfang der 1980er-Jahre forschte der österreichisch-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann an neuen Ansätzen, die dazu führen könnten, die Arbeitswelt zu verbessern und entwickelte ein Konzept, das als „New Work“ bekannt wurde und einen strukturellen Wandel in unserer Arbeitswelt hin zu mehr Selbstständigkeit und Freiheit beschreibt.
Gleichzeitig entstand das Konzept der „Agilen Arbeit“: verschiedene Methoden (z.B. „Scrum“), die zuerst dazu dienten, Arbeitsprozesse bei der Softwareentwicklung zu verbessern. Heute steht der Begriff „Agilität“ für eine flexible und auf stetige Verbesserungen ausgerichtete Arbeitswelt.
Heute orientieren sich nicht nur Softwareentwickler an diesem Konzept, sondern auch erste Kanzleien, wie Daniel Terwersche von der NewGen AG berichtet. Grundlage dafür ist eine volldigitalisierte Kanzlei.
Der Begriff New Work umfasst somit diverse Maßnahmen in Unternehmen, die die Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Vordergrund rücken, insbesondere die flexible Gestaltung von Arbeit und Zusammenarbeit, begünstigt durch Digitalisierung.
Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt
Ganz besonders für Steuerkanzleien hat sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren so gedreht, dass sich Arbeitgeber um Arbeitnehmer bemühen müssen und nicht mehr andersherum. Ein Obstkorb reicht nicht, um top qualifizierte Fachangestellte an sich zu binden.
Während Geld eine wichtige Rolle spielt, ist es für eine wachsende Anzahl von Arbeitnehmern nicht (mehr) das Wichtigste im Leben. Stattdessen wird mehr Lebensqualität immer erstrebenswerter – und hier liegt vermutlich der Schlüssel zum Erfolg im Kampf gegen den Fachkräftemangel.
Early Bird-Kanzleien adaptieren New Work, bieten Homeoffice und verkürzte Arbeitszeiten bei gleichem Gehalt an und haben nun keine Probleme mehr, neue Mitarbeiter anzuheuern. Nach einer Weile stellen die ersten jetzt fest, dass sie keine Ertragseinbußen verzeichnen, sondern sogar ihren Gewinn steigern konnten.
Es kommt nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität
Aus den Erfahrungswerten der Kanzleien, mit denen wir gesprochen haben, zeichnet sich ab, dass es die unkonzentrierten Stunden im Büro sind, die man sich buchstäblich sparen kann.
Die Lösung ist nun, diese unproduktiven Zeiten zu nutzen, um mehr Freiraum für Familie und Hobbys zu schaffen: Leerlaufzeiten streichen und Automation und Digitalisierung ausbauen, um mit mehr Effizienz die gleichen Ergebnisse in weniger Zeit zu erzielen. Bleibt die Leistung erhalten, muss sich am Gehaltszettel nichts ändern.
Dass dies den Wünschen der Deutschen entgegenkommt, wird auch durch die „Vermächtnisstudie“ der Wochenzeitung Die Zeit, infas und dem WZB verdeutlicht.
Die von uns befragten Kanzleien, die sich auf die 4-Tage-Woche oder die 25-Stunden-Woche verlegt haben, verzeichnen nicht nur gleiche Leistung trotz Arbeitszeitverkürzung, sondern sogar Umsatzsteigerungen, weil sie in der Lage waren, Routineaufgaben durch Volldigitalisierung schneller abzuarbeiten und dadurch mehr Zeit für gestaltende Beratung und/oder neue Mandate gewannen. Darüber hinaus berichten sie über weitere Mehrwerte:
• Höhere Arbeitszufriedenheit
• Weniger Krankentage
• Größere Loyalität
Vergleichbare Resultate sind in repräsentativen Studien belegt.
Die X-Tage Woche
Für Steuerkanzleien scheint es unerheblich, ob sie die verkürzte Arbeitszeit im Rahmen einer der 4-Tage-Woche oder der 25h-Woche ausgestalten – oder wie im Fall von Erich Erichsen, durch besondere Ereignisse über Jahre verteilen müssen: Es komme vor allem darauf an, flexibel zu bleiben. Arbeitgeber erlauben, dass Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Ziele oder ihres Pensums selbst entscheiden, wann und wo sie ihre produktive Arbeitszeit am besten für ihre Lohnarbeit nutzen – gemäß dem eigenen Biorhythmus und ohne schlechtes Gewissen. Gleichzeitig zeigen sich die Arbeitnehmer flexibel, dann mehr zu arbeiten, wenn es in Stoßzeiten erforderlich ist. Durch die höhere Arbeitszufriedenheit entfallen außerdem die Gründe, sich von der Konkurrenz abwerben zu lassen.
Prof. Dr. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am IAB und Inhaber die Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung plädiert daher für eine flexible X-Tage-Woche.
Auch in der Zusammenarbeit mit Mandanten findet eine verkürzte Arbeitswoche Anklang, berichtet Jan Happich, Co-Geschäftsführer von co-tax in Coburg. „Viele Mandanten überlegen selbst auch gerade, damit anzufangen.“
Schlüsselfaktoren Digitalisierung und Homeoffice
Homeoffice spielt für die Arbeitszeitverkürzung in Kanzleien auch eine wichtige Rolle. Während es sich in manchen Branchen bereits durchgesetzt hat, überall auf der Welt arbeiten zu können, wo es eine stabile Internetverbindung gibt, kehrte ein Großteil der Büroangestellten nach den Corona-Lockdowns wieder zurück in ihre Büros und praktiziert in der Regel vielleicht noch ein oder zwei Tage Homeoffice pro Woche. Einigen Menschen kommt es entgegen, andere können sich einfach nicht daran gewöhnen.
Homeoffice ist beispielsweise interessant für viele, die Kinder oder zu pflegende Angehörige zuhause haben, auch spart man sich die Zeit und die Kosten für den Arbeitsweg oder kann zuhause bleiben, wenn man sich kränklich fühlt oder sich im Büro nicht gut konzentrieren kann.
Ohne volldigitalisiertes Arbeiten ist Homeoffice jedoch ebenso wenig möglich wie Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Gehalt, die den Erhalt der Effizienz voraussetzt.
Andersherum ausgedrückt: Eine analoge Kanzlei kann es wohl nicht schaffen, bei kürzerer Arbeitszeit ihre Produktivitätsrate beizubehalten oder gar zu verbessern.
Arbeitszeitverkürzung gesamtgesellschaftlich sinnvoll?
Trotz der überwiegend positiven Studien-Ergebnisse, gibt es weiterhin große Bedenken gegen eine Verkürzung der Arbeitszeit: Immer weniger junge Fachkräfte kommen nach, um die Boomergeneration abzulösen und solange die Automatisierung diese Lücke nicht vollständig füllen kann, bleibt der Fachkräftemangel.
Wenn dann auch noch gleichzeitig diese (wenigen) Arbeitskräfte kürzer arbeiten, könne dies nicht gutgehen, wird befürchtet.
Klassische Teilzeitarbeit mag für einzelne Personen vielleicht ein gutes Modell sein, löst aber das strukturelle Problem nicht. Hier geht man von einer Wertschöpfung von „Stück pro Stunde“ aus. Die Zeiten haben sich jedoch geändert: Fließbandarbeit wird weniger und Wissensarbeit wird mehr – das bedeutet, dass man auch das Produktivitätsmanagement der digitalen Welt anpassen muss.
Dass auch Steuerfachangestellte als „Datenmanager“ in gewisser Weise kreativer arbeiten, betonte schon Stefan Crivellin in unserem Blog. Daten zu analysieren und zu erkennen, welche kluge Vorgehensweise sich aus ihnen ergeben könnte, mache Steuerberatung als Beruf insgesamt auch wieder spannender und attraktiver, sagt auch Jan Happich im Interview mit uns, das wir in Kürze veröffentlichen.