Zwischenbilanz nach vier Jahren 25-Stunden-Woche
Wie die 25-Stunden-Woche die Arbeit im Kanzleialltag revolutioniert – und was man dabei vermeiden sollte
Steuerberater Erich Erichsen spürt vom Fachkräftemangel nichts. Anfang 2020 startete er in seiner volldigitalisierten Hamburger Kanzlei mit der 25-Stunden-Woche: Nach dem Vorbild von Lasse Rheingans‘ Ratgeber „Die 5h-Revolution“ wurde schrittweise die Arbeit umstrukturiert und um 13 Uhr war Feierabend – bei gleichem Gehalt. Bis er eine analoge Kanzlei übernahm.
Im Interview zieht er eine Zwischenbilanz über die vergangenen vier Jahre.
Erich, was hat sich bewährt und was nicht?
Die Maßnahmen sind super eingeschlagen. Die Effizienz war nicht nur gleichgeblieben, sondern sogar gestiegen und mit unserer Bekanntheit in der Branche stiegen auch die Bewerberzahlen für Fachkräfte: Inzwischen erhalten wir durchschnittlich drei Initiativbewerbungen pro Monat.
Alles lief bestens, bis ich eine voll-analoge Kanzlei übernommen habe.
Hast du dich übernommen?
Fast. Es gab zu viele Probleme, mit denen ich nicht gerechnet hatte und daher müssen wir seit Mitte 2023 leider doch wieder bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten, um alles zu wuppen. Mein manchmal übergroßes Ego war schuld, ich habe die Herausforderung unterschätzt.
Hätte ich mein loyales Kernteam und viele gute Bewerber nicht gehabt, wäre die Kanzleiübernahme in die Hose gegangen und ich hätte Mandanten kündigen müssen.
Dieses großartige Team – und dass es sich so flexibel gezeigt hat – das war meine Rettung. Die haben die akquirierte Kanzlei in einer rasanten Geschwindigkeit digitalisiert. Denn die 25-Stunden-Woche funktioniert nur, wenn man voll digital arbeitet.
Nun bist du also auch Experte für Change-Management und Turbo-Kanzlei-Digitalisierung?
Zwangsläufig. (Hier geht es zum Erfahrungsbericht)
Wir mussten uns von fast allen alten Mitarbeitern der analogen Kanzlei trennen, da sie den Weg der Digitalisierung leider nicht mitgehen wollten. Mein ursprüngliches Team musste deren Mandate zusätzlich miterledigen, wir wollten ja keinen Überhang bei den Jahresabschlüssen riskieren. Es wurden einige neue „digitale“ Leute eingestellt. Wir kommen dadurch langsam zurück auf 30 Stunden pro Woche und Ende des Jahres sollten wieder 25 Stunden möglich sein. Aktuell sind wir mit 13 Leuten wieder bei 1,62 Mio. Euro Jahresumsatz.
Also ist es eine Typ-Frage, ob neue Arbeitsmodelle funktionieren oder nicht?
Ja, in mehrfacher Hinsicht: Die Belegschaft muss offen für Neues sein und natürlich auch die Arbeitgeber: Die alte Garde rechnet mit X Buchungssätzen pro Stunde und versteht nicht, dass die Leute nicht mehr schaffen, wenn man sie länger arbeiten lässt, weil Menschen eben keine Maschinen sind. Wir können uns nur wenige Stunden am Stück wirklich hundertprozentig konzentrieren.
Aber die vom alten Schlag mögen eben die alte Arbeitsweise. Sie haben sich daran gewöhnt und ihre unproduktiven Zeiten verbringen sie gerne in der Teeküche oder sie simulieren Arbeit, schlagen die Zeit tot, während sie innerlich pennen.
Das ist die alte Welt, davon gibt es gerade in der Steuerberaterbranche noch sehr viele, bestimmt ein großer Teil.
Dieser Typus sitzt den Fachkräftemangel aus bis zur Rente und jammert lieber über die Bürokratie, klagt über zu wenig Fachpersonal und sucht die Schuld bei der Politik.
Wie sieht die Alternative aus?
Der andere Typus bewegt sich: Sicher sind politische Fehlentscheidungen getroffen worden, aber jammern hilft nicht.
Agiles, flexibles Arbeiten hilft, Digitalisierung, Automatisierung und attraktiv sein für die wenigen Fachkräfte – das sind die Lösungen. Dabei geht es auch um die Transformation der Arbeitswelt insgesamt. Wenn die Zeit- und Energiefresser eliminiert werden, sind wir fokussierter und motivierter und schaffen in fünf Stunden genauso viel oder sogar mehr als vorher in acht.
Der moderne Typus digitalisiert und automatisiert und macht seine Kanzlei attraktiv für Fachangestellte. So wie ich. Ich bin Vorreiter für alle Kanzleien, die jetzt auf neue Arbeitszeitmodelle setzen.
Während du auf die 25-Stunden-Woche schwörst, führen andere Kanzleien die 4-Tage-Woche ein. Was ist besser?
Das weiß ich noch nicht. Ich bin „Team 25-Stunden-Woche“, kann aber die Vorteile auch bei der 4-Tage-Woche sehen, wenn die Arbeitszeit reduziert und nicht die 40-Stundenwoche auf die 4-Tage-Woche verteilt wird. Wir evaluieren aber demnächst die Ergebnisse der Kanzleien, die ich berate. Einige haben sich doch auf 4 Tage festgelegt, ich bin gespannt auf das Ergebnis.
Dabei ist diese Vollzeit-4-Tage-Woche jetzt in aller Munde
Packt man die volle Arbeitszeit in vier Tage, ist man mit Pausen und Arbeitswegen erst sehr spät zuhause. Wenn die Konzentration weg ist, zieht sich der Arbeitstag quälend dahin. Bei diesem Modell sind die Mitarbeiter nach ihren vier Arbeitstagen so erschöpft, dass sie ihren freien Tag zusätzlich zur Erholung brauchen.
Wenn du aber die Arbeitszeit stattdessen reduzierst und die Zeitfresser eliminierst, dann kann das 4-Tage-Modell sinnvoll sein. Der Vorteil eines zusätzlichen freien Tages ist nicht abzustreiten.
Ist das unkonzentrierte Absitzen von Stunden im Büro dann der Fehler im System?
Laut IFO-Institut verschärft die Zunahme von Teilzeit-Kräften (fast 40% im 4. Q 2023) das Fachkräftemangel-Problem: Trotz 5 Millionen mehr Erwerbstätigen seit 1991 seien die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in dem Zeitraum gleichgeblieben. "Die 45 Millionen arbeiten so viel wie die 40 Millionen früher", heißt es.
Das ist die traditionelle, analoge Denkweise. Wirtschaftsführer behaupten, man müsse auf die 45-Stunden-Woche wechseln, am besten 50, um das Land aus dem Dreck zu ziehen, aber wir arbeiten heute völlig anders als nach dem Krieg.
In vielen Branchen kann man noch Arbeitsstunden als Arbeitsleistung rechnen, aber für Fachangestellte und Steuerberater gilt das nicht, weil wir hochkonzentriert sein müssen und das ist biologisch, bzw. psychisch einfach nicht acht Stunden lang durchgängig möglich.
Sogar in Pflegeheimen geht man jetzt auf vier Tage. Im Handwerk auch, wie sich zeigt. Eine Kieler Handwerksmeisterin bietet die 4-Tage-Woche und hat jetzt genügend Leute, um jeden Auftrag innerhalb von sechs Wochen abzuarbeiten, vorher musste sie Aufträge ablehnen. Erst hieß es, das wäre im Handwerk unmöglich, jetzt geht es in vielen Branchen praktisch gar nicht mehr ohne Arbeitszeitreduzierung weiter.
Ist die höhere Konzentration, die sich aus weniger Wochenstunden ergibt, der Schlüssel zum Erfolg?
Wir sind nur effektiv, wenn wir konzentriert arbeiten können. Das belegen sämtliche Studien und das gilt erst recht für den Kanzleialltag.
Dabei ist die Konzentration nicht immer gleich: Bei uns ist die Zeiteinteilung inzwischen völlig frei, also egal, ob Frühaufsteher oder Langschäfer, jeder nutzt seine individuelle Hochleistungszeit.
Manchmal setze ich mich auch hin und gebe drei Stunden Vollgas – und hab dann zum Beispiel den Tagesumsatz gerockt, dann kann ich meines Erachtens auch nach drei Stunden schon nach Hause gehen.
Als Chef muss ich jedoch häufig auch nachmittags Termine wahrnehmen. Für Führungskräfte gelten immer andere Regeln – und eben für Ausnahmesituationen.
Reduzierte Arbeitszeiten scheinen sowohl für Kanzleiinhaber als auch für Angestellte sehr attraktiv zu sein. Welche weiteren Vorteile siehst du neben der hohen Effizienz?
Zufriedene Mitarbeiter sind gesünder. Das sieht man an der Anzahl der Krankheitstage, die sich bei uns reduziert hat. Und weil die Mitarbeiter fitter sind und sich wohler fühlen, sind sie auch loyaler. In einem Markt, in dem hart um das vorhandene Fachpersonal gekämpft wird, lassen sie sich zufriedene Mitarbeiter nicht so leicht abwerben.
Außerdem sind sie in schwierigen Zeiten viel motivierter, doch mal eine Zeit lang stärker ranzuklotzen, wenn mal Not am Mann ist. Das ist dann auch kein Problem, weil sie insgesamt eben nicht so geschlaucht sind.
Das ist eine ganz wichtige Lehre aus unseren vier Jahren Erfahrung: Man muss für stürmische Zeiten flexibel bleiben für längere Arbeitszeiten, aber danach wieder zurückkehren zum vereinbarten 25-Stunden-Modell. Und nicht sagen: Das hat jetzt einmal nicht funktioniert, wir bleiben einfach beim alten Modell mit der 40h-Woche montags bis freitags.
Einige Arbeitgeber werden sagen, für weniger Stunden gibt es auch nur ein Teilzeitgehalt. Was entgegnest du denen?
Wir haben gesehen, dass es möglich ist, in fünf Stunden bei voller Konzentration dasselbe – oder mehr – zu schaffen wie vorher in acht. Deswegen zahlen wir auch dasselbe Gehalt wie vorher – das ist eine Frage der Fairness und wir erweisen unseren Angestellten dadurch Respekt, Wertschätzung und Anerkennung. Wir zahlen, so gesehen, jetzt nicht mehr für die Leerlaufzeiten – so kann man es auch auslegen.
Wenn es nur um körperliche Anwesenheit geht, wie bei einem Pförtner, dann kann man weniger zahlen, bei weniger Stunden.
Habt ihr bei all der Flexibilität noch eine Kanzlei, bzw. ein Büro?
Ja, auch bei uns gibt es den Typus, der lieber im Büro arbeitet als zuhause – wichtig ist, dass wir flexibel auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen.
Für diejenigen vor Ort haben wir einen Feel-Good-Manager eingestellt, der für ein gesundes Frühstück sorgt, für Personal Training im Sportraum und für Massagen. Außerdem kochen wir einmal pro Woche gemeinsam.
Die Anwesenheit beim gemeinsamen Frühstück und zum wöchentlichen Kochen ist jedoch freiwillig. Eine Mitarbeiterin sitzt in Frankfurt, eine in Braunschweig, einer ist im Wohnmobil unterwegs – die kommen nur einmal pro Monat rein.
Aber wenn wir ins Büro kommen, kommt jeder gerne – wer kann das schon von sich behaupten?
Sind neue Arbeitsmodelle in der Steuerberatung jetzt eine Welle, die nicht mehr aufzuhalten ist?
Ja, würde ich sagen, auf alle Fälle. In unserer Branche ist das Rad nicht mehr zurückzudrehen.
Und wenn ich diesen harten Kampf der Fachkräfte bestehen möchte, dann muss ich als Arbeitgeber mehr bieten als Obstkorb und Homeoffice.
Die Umstellung auf 25 Stunden war also eine gute Investition, auch fürs Employier Branding?
Natürlich, sonst würden wir das nicht machen. Die Arbeitszeitreduzierung allein hat uns keinen Cent extra gekostet und nur Vorteile gebracht.
Gleichzeitig haben wir mit dem Thema stark ins Employier Branding investiert: Bei uns fährt zum Beispiel jeder einen gebrandeten Dienstwagen, übrigens mit dem Kennzeichen HH - EE 25xx, wegen „25 Stunden“, das gehört zur Markenstrategie.
Der Fuhrpark für jährlich 60.000 Euro, die Modernisierung des Büros mit einem Sportraum für 200.000 Euro, iPhones und iPads für alle Mitarbeiter und jährliche Einladungen zu Veranstaltungen – all das kostet uns natürlich viel Geld, doch es wirkt sich auch positiv auf unsere Reputation als Arbeitgeber aus.
Ich würde sagen, kein Euro davon war oder ist Verschwendung.
Vielen Dank für das Gespräch.